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Elektroautos im Stillstand nutzen

04.05.2022

Dank ihrer Batterien können sich Elektroautos auch in der Garage nützlich machen. Gut möglich, dass sie in absehbarer Zeit sogar das Stromnetz stabilisieren.

Fahrzeuge müssten eigentlich «Stehzeuge» heissen. Denn sie verbringen bis zu 90 Prozent ihrer Zeit stehend. Wäre es also nicht von Vorteil, wenn sie uns auch in stillstehendem Zustand von Nutzen sein könnten? Hier bieten Elektroautos dank ihrer Batterie ein ganz neues Potenzial.

Lastspitze klein halten
Aktuell gibt es zwei gross diskutierte Möglichkeiten. Bei beiden geht es um die Idee, die Batterie zeitweise zu nutzen, solange sie am Stromnetz angeschlossen ist. Einerseits kann der Elektrowagen als mobile Notstromstation an das hauseigene Stromnetz angeschlossen werden. Gerade wenn man auf dem Dach des Eigenheims eine Photovoltaikanlage montiert hat, kann man so den selbst produzierten Strom speichern und auch im Haushalt nutzen. «Diese Methode eignet sich besonders, um die Lastspitze klein zu halten. Also den Zeitpunkt, in welchem am meisten Strom verbraucht wird», erklärt Patrick Rinaldi, unter anderem Experte für Mobilität und Stromnetze im Thurgauer Kompetenzzentrum für Energie. Haushalte erreichen ihre Leistungsspitze für gewöhnlich in der Mittag- und Abendessenszeit – also vor allem dann, wenn gekocht wird.

Bidirektionale Stationen sind noch sehr teuer
Restaurants nutzen Elektroautos teilweise schon als Stromspeicher, um mithilfe des Stroms aus den Batterien die Leistungsspitze möglichst tief zu halten. «Dort lohnt sich das auch», sagt Rinaldi. Bei Privathaushalten komme es stark auf die Situation an. Meistens lohne es sich jedoch nicht. Einerseits muss das Auto zu Hause zu den gegebenen Zeiten verfügbar sein und zwischen den Leistungsspitzen geladen werden können. Wer damit zur Arbeit fährt, fällt also schon einmal weg, ausser man kann am Arbeitsplatz laden. Andererseits sind die Ladestationen, welche das Auto sowohl laden als auch entladen können, ziemlich teuer. Zwischen 15 000 bis 20 000 Franken müsse man schon einrechnen. Und dann muss der Wagen auch noch bidirektionales Laden unterstützen. Das sind zumeist Modelle asiatischer Hersteller. «Autos anderer Marken können dies eigentlich auch, aber die Software blockiert dieses Feature aktuell noch», ergänzt Patrick Rinaldi. Das Entladen der Batterie werde noch stiefmütterlich behandelt. Wenn es ein Auto unterstützt, dann selten mit mehr als zehn Kilowatt Leistung. Das klingt erst einmal logisch. Aber wenn man beim selben Wagen einmal ordentlich auf die Tube drückt, dann muss die Batterie weitaus mehr Leistung bringen.

Strom ins öffentliche Netz speisen
Der zweite vielversprechende Ansatz ist das Konzept «Vehicle to grid» (Englisch für: Vehikel zu Netz). Die Autos werden dabei dem öffentlichen Stromnetz angegliedert, sobald sie angeschlossen werden. Bei kurzfristigen Schwankungen könnte man sämtliche Batterien anzapfen. Je mehr Autos im Spiel sind, desto weniger Strom muss jedem Einzelnen entnommen werden – unter Umständen jeweils nur ein paar Prozent im einstelligen Bereich. Mit dem «V2X Suisse»-Programm wird in der Schweiz genau ein solches Pilotprojekt ab September 2022 lanciert: Gemeinsam mit der Flotte des Mobilitätsanbieters «Mobility» testen sechs Akteure dieses Prinzip. Mobility spricht dabei von einer potenziellen Leistung von 60 Megawatt. Das sei etwas mehr, als das Tessiner Pumpspeicherwerk Peccia liefern könne. Zumindest wenn die gesamte Flotte von 3000 Fahrzeugen elektrisch und gleichzeitig am Stromnetz wäre. Mobility möchte wohl bis 2030 komplett auf E-Autos wechseln.

Wichtige Fragen noch ungeklärt
«Technisch wäre ‹vehicle to grid› machbar, aber das Gesetz ist noch lange nicht so weit», erklärt Patrick Rinaldi. Das Potenzial der Technologie sei da, aber werfe gleichzeitig einen ganzen Stapel an Fragen auf: Wer darf das Ganze steuern? Das E-Werk, der Verteiler oder jemand ganz anderes? Und was ist mit der Rückvergütung? Schliesslich sei eine Entschädigung für den abgezapften Strom nur recht. Deswegen gehe der Trend aktuell stärker in Richtung der privaten Nutzung von E-Autos als Energiespeicher. Die Zeit wird zeigen, was sich durchsetzt.

Jonas Manser